Setz & Sedaris

Posted: 18th April 2011 by juhudo in Allgemein

Er ist mit einer wüsten Fantasie ausgestattet, die er dazu nützt, seltsam verschobene Welten mit ihrem erschreckenden Potenzial an Grausamkeit und Brutalität auszumalen. Es hat den Anschein, als wollte er Geschichte für Geschichte Endzeitszenarien erfinden, dass uns richtig bang ums Herz wird. Er hat nichts gemein mit seinen Generationskollegen, die wie Maler vor einer Leinwand sitzen, um ihre Umwelt, so wie sie sie sehen, möglichst punktgenau auf eine Leinwand zu bringen. Setz hat eine Vorstellung von unserer Welt, so düster, dass der marktgängige Realismus nicht ausreicht für deren Beschreibung. So weicht er aus in allegorische Umdeutungen. Großes Vertrauen in die Friedfertigkeit der Menschen besitzt er nicht.

Quelle: Salzburger Nachrichen vom 26.3.2011

setzMit diesem Sätzen wurde vor einem Monat in den SN über die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse an den Autor Clemens M. Setz berichtet. Sie haben mich bewogen, die Erzählungen „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“ (ein Titel, der mich das Buch nie und nimmer hätte kaufen lassen) sofort haben und lesen zu wollen. Während der Suche danach sind auch noch die „fiesen Fabeln“ von David Sedaris „Das Leben ist kein Streichelzoo“ mitgegangen. („Fiese Fabeln“ finde ich auch nicht besonders, aber der deutsche Haupttitel gefällt mir ganz gut. Besser als der englische „Squirrel Seeks Chipmunk“ – aber Sedaris hat bei mir schon einen Bonus, der mich gleich ins Buch schauen lässt). Ich mag Erzählungen eigentlich viel weniger als Romane – zwei Erzählungsbände bei einem Einkauf sind was Besonderes!

Aber wie gings dann mit der Lektüre?

Start mit Setz. Misstrauisch startete ich mit der kürzesten Erzählung, dem Gespräch der Eltern von Hänsel und Gretel. In der Nacht, bevor die Kinder zum ersten Mal ausgesetzt werden sollen, ist die Frau so genervt davon, dass der Holzfäller ein so schwacher Suderant ist, dass sie es  fast nicht mehr mit ihm aushält. Ihre Lösung ist es, die Kinder loszuwerden um nicht selbst zu verhungern – und das während verzweifelten Geschlechtsverkehrs.

Setz stellt eine Parallelwelt neben der anderen dar – aber jede ist im Bereich unserer Möglichkeiten und schrammt nur haarscharf an derWirklichkeit vorbei. Eine Frau möchte von ihrem Partner in einem Käfig gehalten werden. Die übertriebenen Ängste eines Vaters um seine Tochter werden wahr gemacht, alte Frauen prostituieren sich auf der Straße als Mütter ungeliebter Erwachsener und lassen sich für Fernsehen bei offener Tür oder Ermahnungen bezahlen, ein Mann findet eine Leiche und behält sie, Menschen finden Befriedigung darin, die Skultur eines Kindes durch Gewalt zu verändern und werden selbst verändert.

Immer bricht etwas Irreales in den Alltag ein, verändert ihn und wird selbst zum Alltag – in Form von Realitätsverweigerung, Psychosen, Visionen oder es wird selbst Realität. Die Erzählungen sind schräg und spannend. Seit langem hat es mir nicht mehr so gut gefallen einen deutschsprachigen (und sogar österreichischen Autor) zu lesen.

Hier liest Clemens Setz „Die Leiche“. Und hier „Die Vase“.

 

sedaris

Sedaris Geschichten sind nicht so befremdlich, weil er sie gleich im Tierreich angesetzt hat. Sie sind vordergründiger und damit vergnüglicher, zeichnen die Welt aber ebenfalls als ziemlich unangenehmen Ort, weil ihre Bewohner sich durech eine Unzahl menschlicher Schwächen auszeichnen, die einerseits kaum auszuhalten sind, andererseits für großen Unheil sorgen. Eine ewig über den Tod ihrer Mutter lamentierende Bärin endet als misshandelte Tanzbärin, eine Maus zieht in Affenliebe eine Schlange auf, sorgt sogar für tierisches Futter und endet – natürlich – selbst im Schlangenmagen, ein Mutterschaf lässt sich von einer Krähe so plump hereinlegen, dass die ihr Lamm töten kann, ein Kaninchen vernichtet die Magie des letzten Einhorns. Und fast alle zeigen die schlechtesten menschlichen Eigenschaften, wie Selbstgerechtigkeit, Dummheit, Eitelkeit usw. Über die tierischen Protagonisten bekommen wir den Spiegel vorgehalten.

Die Bände sind nur bedingt vergleichbar, haben sich aber beim Lesen gut abgewechselt. Beide sind empfehlenswert.